Interessenvertretung vs. Beirat
Aus folgenden Gründen waren wir für die Einführung eines städtischen Beirats zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen – und halten es nach wie vor für die bessere Lösung:
Interessenvertretung (IV) | Beirat |
Zusammensetzung wechselt je nach vorhandenem Interesse | Feste Zusammensetzung mit Möglichkeit für Jedermann, an den Sitzungen teilzunehmen |
Rein ehrenamtliche Tätigkeit ohne irgendwelche Vergütung für Sitzungen oder Fahrtätigkeit | Aufwandsentschädigung, Sitzungsgeld o. ä. |
Keinerlei Versicherung bei der Tätigkeit bei Unfällen | Versicherung über die Stadt möglich |
Auf freiwillige Weitergabe von Informationen und Wohlwollen von Bürgermeister, Verwaltung und Rat angewiesen | In einer Satzung verankerter Anspruch auf Information |
Evtl. werden Stellungnahmen zu anstehenden Entscheidungen eingeholt | Die Meinung des Beirats ist vor Entscheidungen regelmäßig einzuholen, wenn Interessen von Behinderten betroffen sind |
Sprecher der IV erhält evtl. Rederecht in Ausschüssen, aber kein Stimmrecht | Vorsitzender hat in Satzung garantiertes Rederecht; ob er ein Stimmrecht erhält, müsste geklärt werden |
Nur der Sprecher hat das Recht, an Ausschüssen teilzunehmen | Teilnahme an Ausschüssen kann auf mehrere Personen aufgeteilt werden |
Erstellung von Protokollen, Versenden von Einladungen etc. (Geschäftsführung) auf eigene Kosten der IV | Geschäftsführung wird von Stadt übernommen |
Ob Amtsvertreter auf Einladungen der IV an Sitzungen teilnehmen, ist äußerst fraglich | Vertreter der städtischen Ämter werden bei Bedarf zu Sitzungen entsendet |
Um es noch einmal zu betonen:
- Die Gleichstellung von Menschen mit Handicaps ist seit spätestens 2009 mit der UN-Konvention in Deutschland Gesetzesauftrag, steht aber auch schon im Grundgesetz.
- Wie die Satzung für einen Beirat aussehen könnte, liegt in der Hand von Politik und Verwaltung. Damit haben diese volle Entscheidungsfähigkeit in der Gestaltung der Bedingungen (Zusammensetzung, Rechte, Pflichten, Vergütung, Häufigkeit von Sitzungen etc.)
- Alles, was für Menschen mit dauerhafter Behinderung erreicht wird, hilft auch allen anderen Menschen und erleichtert ihnen das Leben, z. B. Eltern mit Kinderwagen, kurzfristig Gehbehinderten nach Unfall, Menschen nach Augenoperation, mit Tinnitus etc. Die Unkosten für anfallende Verbesserungen kommen also nicht nur der angeblich recht kleinen Zahl behinderter Menschen (tatsächlich ca. 1600 Behinderte in Hückeswagen mit über 50 GdB) zu Gute.
- Im gesamten Oberbergischen Kreis gibt es nicht einen einzigen Beirat. Hückeswagen könnte sich also als Vorreiter zeigen auf dem Weg wie z. B. im Rheinisch-Bergischen Kreis, wo alle Städte einen Beirat besitzen, auch wenn sie keine Großstädte sind und „kurze Wege“ möglich sind.
- Ehrenamtliche Tätigkeit ist in unserer Gesellschaft unverzichtbar und den vielen engagierten Menschen sei hier ausdrücklich gedankt. Viele ehrenamtlich Tätige haben aber zunehmend den Eindruck, dass sie als „Notstopfen“ missbraucht werden für Aufgaben, die eigentlich in der Verantwortung von Politik und Verwaltung oder anderer Institutionen lägen. Wenn diese Aufgaben der Stadt von deren Vertretern als „viel zu teuer“ bezeichnet wird (Beispielrechnungen über tatsächlich zu erwartende Kosten liegen vor), wirft das ein bezeichnendes Licht auf die Wertigkeit dieses großen Engagements für unsere Volksvertreter. In diesem Zusammenhang muss auch die (nur) rein ehrenamtliche Tätigkeit des Behindertenbeauftragten erwähnt werden.
- Die Anerkennung und Wertschätzung für Behinderte und ihre Organisationen durch die offizielle Einrichtung eines städtischen Beirats für sie wäre offensichtlich. Eine Interessenvertretung ist ein doch eher „privates Engagement“ mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten, und diese auch nur für den „Sprecher“ der IV, so wie es in den Vorstellungen der Parteienkoalition und der unabhängigen Wählergemeinschaft ausgedrückt wird.
- Wenn es in Hückeswagen so einfach und selbstverständlich wäre, auf kurzem Weg seine Bedürfnisse umgesetzt zu bekommen, wieso gibt es dann eigentlich derart viele Missstände? Offensichtlich ist es hier wie in anderen Städten auch so, dass eben nur die Betroffenen selbst sofort erkennen, was für sie notwendig ist. Nichtbetroffene sehen die Probleme einfach gar nicht, selbst wenn sie guten Willens sind.
- Wenn man böswillig wäre, könnte man vermuten, dass durch die Ablehnung eines Beirats vermieden werden sollte, dass die Behinderten und ihre Vertreter der Politik in die Quere kommen und immer nur reinreden.
Hoffen wir, dass dem nicht so ist und eine gute und wirkungsvolle Zusammenarbeit der IV mit der Stadt möglich wird. Die Zukunft wird zeigen, ob die Beteuerungen der Parteien und der unabhängigen Wählergemeinschaft die Interessen der Menschen mit Handicaps ernst nehmen zu wollen und sie zu unterstützen, wirklich in die Tat umgesetzt werden. Wir werden darauf achten und daran arbeiten.
Zitat aus der Bergischen Morgenpost vom 06.10.2012:
„Geldsummen lassen sich von heute auf morgen umschichten. Seelen dagegen müssen reifen.“
Joachim Gauck, Bundespräsident, über fehlende emotionale Kompetenz der Gesellschaft